Zeit für Veränderung
Die biologischen und physiologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau sind bekannt. Dennoch werden diese in der medizinischen und pharmazeutischen Ausbildung zu selten thematisiert. Das ist vor allem ein strukturelles Problem.
Männerdomäne Medizin
Die Medizin war lange männlich. Erst ab 1899 wurden Frauen zum Medizin- und Pharmaziestudium zugelassen. Noch lange danach waren Männer sowohl in den Universitätssälen als auch in der medizinischen Lehre und Forschung überrepräsentiert. Deshalb orientieren sich die Leitlinien der medizinischen Ausbildung und Behandlung bis heute am 75-80 Kilogramm schweren, 1,80 Meter großen, weißen Mann.
Gender Data Gap: Die Daten sind männlich
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Weil medizinische und pharmazeutische Studien fast ausschließlich mit Männern durchgeführt werden, fehlt an vielen Stellen Datenmaterial über Frauen. Das kann in einer Welt, in der die Medizin zunehmend digitaler wird fatal sein. Die Informationen, mit denen Algorithmen programmiert und künstliche Intelligenzen gefüttert werden, sind von der männlichen Sichtweise bestimmt. Das reflektiert nicht bloß eine einseitige Wahrnehmung, es vervielfacht diese auch noch. Diese Ungleichheit nennt man Gender Data Gap.
Frauen erreichen selten die Spitze
In den letzten 20 Jahren studierten mehr Frauen Medizin als Männer. Etwa 90 Prozent der Lehrstühle und Klinikdirektionen sind aber von Männern besetzt; neun von zehn Forschungsbereichen an Universitäten von einem Mann geleitet. Dieses Ungleichgewicht findet man auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesens vor: 70 Prozent der Arbeit in Gesundheits- und Pflegeberufen verrichten Frauen. Bei den Pflegekräften, im Rettungsdienst und der Geburtshilfe ist der Anteil sogar noch höher. Die Leitungsposten besetzen auch dort überweigend Männer.
Die Beratungsfirma PricewaterhouseCoopers (PwC) publizierte 2020 eine Analyse zum Anteil weiblicher Führungskräfte in der Gesundheitswirtschaft. Sie befragten rund 8.000 Krankenhäuser, Pharmakonzerne, Ministerien, Behörden, Verbände, Krankenkassen und wissenschaftliche Institute nach dem Anteil von Frauen in Führungspositionen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Der Anteil weiblicher Führungskräfte ist in den vergangenen fünf Jahren von 33 auf 29 Prozent zurückgegangen. Der Anteil von Frauen im Top-Management beträgt lediglich 17 Prozent.
Es führt kein Weg daran vorbei, die Entscheidungsstrukturen des Gesundheitssystems anzupassen.
Wir brauchen beide Perspektiven
In den Kommissionen und Gremien, die wichtige Entscheidungen für alle Menschen treffen, dominiert eine Perspektive: die männliche. "Solange dies so ist, wird es sich auf die Behandlungsempfehlungen und somit unmittelbar auf die Gesundheit der Patienten auswirken. Das kann - gerade für Patientinnen - viel ausmachen. Es führt kein Weg daran vorbei, die Entscheidungsstrukturen des Gesundheitssystems anzupassen", sagt Andrea Galle, Vorständin der mkk.