5 Sexmythen, die du nicht glauben solltest
Lust kennt kein Verfallsdatum. Und viele Sexmythen, die uns unter Stress setzen, stimmen gar nicht – das zeigen neuere Forschungen. Ein Abgleich der Mythen mit der Wirklichkeit.
Wer gesund und zufrieden ist, hat mehr vom Sex. Auch im fortgeschrittenen Alter, sagen neue Studien. Eigentlich logisch. Bestimmte Faktoren begünstigen den erotischen Genuss, so die Forscher. Doch nach wie vor gibt es kaum ein Gebiet, in dem so viel über- oder untertrieben, gelogen, verglichen und verheimlicht wird wie beim Liebesleben. Fünf Mythen und was dahintersteckt.
Mythos 1: Junge Leute haben viel mehr Sex
"Früher konnte ich nie genug Sex bekommen", sagt Gesine*, 48, seit zwei Jahrzehnten verheiratet. Damals, Mitte 20, hatte sie das Gefühl, dass mit der jeweils aktuellen Beziehung "etwas nicht stimmen konnte, wenn wir nicht jeden Abend miteinander schliefen. Sex jeden Tag gehörte einfach dazu." Nicht nur Gesine blickt verklärt auf die Liebschaften der frühen Jahre zurück und glaubt, dass junge Menschen häufiger Sex haben als ältere. Wissenschaftlich bewiesen ist das nicht. Im Gegenteil.
Der Anteil junger Männer ohne Erfahrung ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Jeder dritte Mann zwischen 18 und 24 hat noch nie Sex gehabt, fanden amerikanische Wissenschaftler kürzlich heraus. Parallel dazu bemerken Psychologen einen erhöhten Pornokonsum. Es ist oft so, dass Kinder und Jugendliche bereits Pornos schauen, bevor sie den ersten Menschen küssen konnten.
Die GeSiD-Studie der Uni Hamburg und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist die erste verlässliche Studie über Sexualleben und Beziehungen der Menschen in Deutschland. Aus dieser Studie ergibt sich, dass fast jede dritte Frau zwischen 26 und 35 ein vermindertes sexuelles Verlangen verspürt. Vier von zehn Frauen in dieser Altersklasse haben Probleme, einen Orgasmus zu erleben. Sex ist für viele junge Leute mitunter ein heikles Thema. Allerdings haben diejenigen, die in einer festen Beziehung leben, tendenziell mehr Sex als ältere Paare. Warum ist das so?
Mythos 2: Im Alter wird das Schlafzimmer zur sexfreien Zone
Ganz falsch ist das nicht. Ganz richtig auch nicht. Für die meisten Deutschen ist Sex ein regelmäßiges Thema: Frauen und Männer zwischen 18 und 30 haben sieben Mal im Monat Sex, mit zunehmendem Alter nimmt die Häufigkeit zwar ab, dennoch haben auch Ü-60-Paare Freude am Sex: Sie schlafen etwa dreimal im Monat miteinander. Nachlassende Leidenschaft hängt mit der Dauer der Beziehung zusammen. Ältere stecken häufiger als Jüngere in lang andauernden Partnerschaften. Untersuchungen zeigen, dass die Lust jedoch bereits nach dem zweiten Jahr abnimmt. Nach sechs gemeinsamen Jahren sind Paare in der Regel einmal in der Woche miteinander intim.
Die Fähigkeit zu lieben, ist alterslos. Auch im späteren Leben lässt sich große Leidenschaft erleben. "Vergleicht man 30-, 45- und 60-Jährige, die in gleich langen Partnerschaften leben, dann findet man nur geringe Unterschiede in der sexuellen Aktivität", schreibt der Hamburger Sexualforscher Gunter Schmidt. Das klingt beruhigend.
Wenn es stimmt, dass sexuelle Leidenschaft mit der Dauer der Beziehung abnimmt, und dies bereits nach wenigen Jahren, müssten jene, die ständige Leidenschaften erleben wollen, häufig den Partner wechseln. Wer 60 Jahre alt ist, hätte mindestens sechs Partner oder Partnerinnen gehabt, um nicht in eine Phase der sexuellen Langeweile zu gleiten. Das klingt nach Stress.
Die US-amerikanische Schauspielerin Elizabeth Taylor kam auf acht Ehen, wobei sie einen Mann, Richard Burton, sogar zweimal heiratete. Der ehemalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder ist zum fünften Mal verheiratet. Man muss das nicht beneidenswert finden. Klasse statt Masse ist das Motto der späteren Jahre. Nichtsdestotrotz stellt sich für Langzeitpaare die Frage: Wie umgehen mit dem Gewöhnungseffekt?
Mythos 3: Langzeitehe und Leidenschaft schließen einander aus
"Es war einfach ein unglaublicher Kick, als ich Anne kennenlernte. Überhaupt mal wieder von einer fremden Frau begehrt zu werden, gab mir sofort ein Gefühl von Lebendigkeit, ich war erotisiert", sagt Bernhard, 38 Jahre alt. Er ist der Langzeitehemann von Luise, die nichts von der Affäre weiß, die Bernhard nach wenigen Monaten beendete.
Langzeitliebe und die sogenannte Untreue sind Themen der amerikanischen Sexual und Paartherapeutin Esther Perel. Ihr Fazit zum abnehmenden Verlangen in langen Beziehungen: Verpflichtungen, übermäßige Vertrautheit und Nähe zwischen Eheleuten sowie Rollen wie die der Mutter oder Ehefrau können die körperliche Lust auf den Partner mindern. "Wir sind auf der Suche nach Beständigkeit und Geborgenheit, aber gleichzeitig beflügeln uns Neues und Abwechslung", beschreibt Perel das "existenzielle Dilemma" vieler Verheirateter.
Hormone liefern den Kick, schreibt Perel. Der "hormonelle Cocktail" einer frischen Romanze bestehe aus Dopamin, Noradrenalin und Phenethylamin. Er halte in jeder Beziehung nur wenige Jahre vor, dann überwiege das sogenannte Kuschelhormon Oxytocin. Das pure Begehren, das auch etwas Fremdheit und Ungewissheit brauche, schwinde mit der Zeit.
Ob One-Night-Stand oder Affäre – jeder fünfte Mann und gut jede achte Frau sind schon einmal fremdgegangen. Häufig wollen sich der Mann oder die Frau durch die Begegnung mit einer oder einem Fremden lebendiger, frischer fühlen, sich ein bisschen selbst neu erfinden. "Oft ist das Verführerische nicht der neue Partner, sondern ein neues Ich", sagt Therapeutin Perel.
Als Gegenprogramm empfiehlt sie gewissermaßen, wieder einen Teil Fremdheit in die eigene Ehe einzubauen, trotz Haushalt, Kindern, Kochen und Erwerbsarbeit. Nicht Nähe, sondern Distanz verstärke die Erotik in einer Langzeitbeziehung. Man müsse akzeptieren, dass der oder die Partnerin "in mancher Hinsicht ein Geheimnis bleibt", so Perel. "Die Erotik zu Hause zu pflegen, ist ein Akt trotziger Auflehnung", meint sie und rät Paaren zu besonderen Verabredungen, zu Ritualen, besonderen Dinners oder Kurzreisen, um sich gegenseitig wieder interessant und sexy zu finden.
Mythos 4: Sexualität ist vor allem Geschlechtsverkehr
"Also mit irgendwelchen Zahlen, wie oft man in welchem Alter Geschlechtsverkehr haben sollte, um irgendwelchen Normen zu entsprechen, kann ich nichts anfangen", sagt Sabine, 63 Jahre alt und seit mehr als 25 Jahren verheiratet. "Bei uns ist es etwas sehr Besonderes geworden, miteinander zu schlafen. Und dreimal im Monat schaffen wir nicht. Brauchen wir auch nicht."
Die Wissenschaft hat den Sex im Alter bislang wenig beachtet. Mit ihrer "Berliner Altersstudie" betritt die Humboldt-Universität Neuland. Etwa jeder Dritte ältere Erwachsene gab an, im Alter sexuell aktiver zu sein und mehr sexuelle Fantasien zu haben als in jüngeren Jahren. Streicheln und Hautkontakt zählen in der Studie als "sexuelle Aktivität". Alte Menschen orientieren sich bei ihrer sexuellen Zufriedenheit nicht nur am Genitalsex. Nähe, Hautkontakt und Innigkeit gehören ebenso dazu und geben das Gefühl, mit dem Partner auf intime Weise verbunden zu sein.
Abgesehen davon, braucht man zum Sex nicht unbedingt einen Partner. Die GeSiD-Erhebung zeigt, dass von denjenigen, die schon länger keine sexuelle Begegnung mit einem Partner oder einer Partnerin haben, ein großer Anteil Selbstbefriedigung, auch "Autoerotik" genannt, praktiziert. Jeder dritte Mann und jede zweite Frau stehen dazu. Dazu boomt eine Hilfsmittelindustrie. Die so sogenannten Sex-Toys seien inzwischen vom "Hilfsmittel zum eigenständigen Spielzeug geworden", sagt die Berliner Sexualberaterin Laura Méritt. Die kleinen Vibratoren, die das körperliche Lustempfinden steigern, wurden auch schon von der Stiftung Warentest begutachtet und bewertet.
Mythos 5: Sex und Krankheit schließen sich gegenseitig aus
Alle Menschen erleben über die Jahre einen körperlichen Abbau, und auch der Geschlechtsverkehr ist eine sensible Angelegenheit, bei der die Dinge oft nicht wie gewünscht laufen. Die GeSiD-Studie zeigt, dass von den sexuell aktiven Männern fast jeder Achte beim Sex Probleme erlebt. Auch jede sechste Frau gab an, Schwierigkeiten zu haben. Jüngere Männer berichten von verfrühter Ejakulation, im Alter sind es dann Erektionsprobleme, die jedem fünften 56- bis 65-Jährigen Sorgen bereiten. Über alle Altersgruppen hinweg haben mit 40 Prozent mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer schon einmal Probleme, einen Orgasmus zu bekommen.
Wem es körperlich oder seelisch nicht so gut geht, der hat auch größere Probleme im Sexualleben. Die Hälfte der Männer und Frauen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen erleben diese als beeinträchtigend für die eigene Sexualität. Prostataoperationen und Depressionen drücken Männern auf die Libido, bei Frauen sind es Bauchoperationen, Übergewicht und neurologische Erkrankungen. Das Fazit der Forscher: Mit dem Alter nehmen die sexuellen Probleme zwar zu. Aber Sex gehört in jeder Altersklasse zu einem guten Leben dazu.
* Vornamen der Zitatgeberinnen und -geber wurden geändert
Illustrationen von Yvonne Kuschel
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