Tinnitus
Permanentes Klingeln oder Summen in den Ohren sorgt bei vielen Menschen für Verzweiflung. Häufig ist Stress die Ursache, doch durch die oft chronisch anhaltenden Störungen im Ohr wird die Belastung nicht weniger. Ganz im Gegenteil, sie wird zum unangenehmen Alltagsbegleiter. In vielen Fällen geht ein Tinnitus sogar mit einem Hörverlust einher. Muss ich mich mit dem dauerhaften Summen abfinden? Gibt es Alternativen zu einem Hörgerät? Dauert ein akuter Tinnitus zwangsläufig über eine längere Zeit an? Im Interview mit Dr. Gerhard Goebel.
- Was genau ist ein Tinnitus und wie äußert er sich?
Ohrgeräusche, die nur auf einem Ohr, auf beiden Ohren oder auch als Kopfgeräusch wahrgenommen werden können, sind ein Symptom des Hörsystems im Gehirn. Sie äußern sich als kontinuierliches Pfeifen, Rauschen, Zischen, Brummen etc. und können nur von den Betroffenen wahrgenommen werden.
Ähnlich dem optischen System, das bei Störungen nur mit Sehminderung, subjektiven Lichtblitzen oder Lichtempfindlichkeit reagieren kann, können fehlerhafte Informationsverarbeitungen im Hörsystem bzw. Störungen der Hörfunktion zu Hörminderung, Tinnitus oder Geräuschüberempfindlichkeit (Hyperakusis) führen.
In einer französischen Studie wurde 2002 festgestellt, dass Patienten mit alters- oder lärmbedingter Schwerhörigkeit ihren Tinnitus generell als hohen Ton empfinden, Patienten mit Morbus Ménière als variiertes und tiefes Summen. Zudem wurden Zusammenhänge zwischen dem Hörminderungsgrad und der Tinnitus-Lautstärke gefunden: Je größer die Hörminderung, desto höher war die empfundene Lautstärke der Ohrgeräusche.
Als vorübergehendes Phänomen ist ein Tinnitus bei knapp der Hälfte der erwachsenen Bevölkerung ermittelbar. 37 Prozent bemerken ihren chronischen Tinnitus nur bei Stille (Schweregrad I), bei 44 Prozent lässt sich der Tinnitus durch Umgebungsgeräusche weitgehend überdecken, und bei 17 Prozent ist er selbst bei lautesten Geräuschen wahrzunehmen.Nach einer vierstufigen Schweregradeinteilung leiden in der Bundesrepublik etwa 1,5 Millionen Bürger (1,1 Prozent der Bevölkerung) an mittelgradigem bis unerträglichem Tinnitus.
Tinnitus ist also ein Symptom (Beschwerde) unterschiedlichster Erkrankungen des Hörsystems ein bis fünf Prozent der Allgemeinbevölkerung fühlen sich deutlich bis stark von Tinnitus beeinträchtigt. Übereinstimmende Studien zeigen, dass mit zunehmender Tinnitusqual psychische Störungen von 30 bis 80 Prozent im Sinnen von Begleiterkrankungen (Komorbiditäten) nachweisbar sind und daher bei der Behandlung unbedingt mit einzubeziehen sind.
Dies deckt sich mit der aktuellen Tinnitusforschung, in der auffallende zentralnervöse Vernetzungen kognitiver und emotionaler Zentren mit Aufmerksamkeitszentren als Hauptursache für Tinnitus gefunden werden.
Unser Experte
Dr. Gerhard Goebel, 1972 Studium der Humanmedizin an der TU München. 1983 absolvierte er seinen Facharzt für Innere Medizin und 1994 den Facharzt für Psychosomatische Medizin.
Er war 1985 leitender Mitarbeiter in einem Krankenhaus für Psychosomatik und Psychiatrie. Er hat dort zunächst als Oberarzt, und ab 2012 als Chefarzt maßgeblich die Kognitive Verhaltenstherapie für den stationären Tinnitus- und Hyperakusis-Schwerpunkt entwickelt.
Anschließend wurde er Dozent für Postgraduale Weiterbildung in kognitiver Verhaltenstherapie, unter anderem, an der Universität Zürich. Seit 2002 ist er Ehrenmitglied und stellvertretender Vorsitzender der gemeinnützigen Selbsthilfeorganisation "Deutsche Tinnitus-Liga e.V. (DTL)", in Wuppertal.
- Wie entsteht ein Tinnitus?
In einer Vielzahl von Modellen wurde versucht, die Entstehung von einem Tinnitus auf den verschiedenen Ebenen des auditiven Systems darzustellen, um mögliche therapeutische Vorgehensweisen abzuleiten. Ursachen, die in der Cochlea (Innenohr), im Hörnerv und in der zentralen Hörbahn liegen, können oft nur nach dem ArztPatienten-Gespräch und der Befunderhebung hypothetisch zugeordnet werden. Festlegungen auf Pauschalhypothesen wie Durchblutungsstörung oder Stress werden der Differenziertheit des Tinnitus nicht gerecht.
- Gibt es Behandlungsmöglichkeiten oder sogar Heilung?
Für die früher als nur wenig beeinflussbar angesehene Störung stehen nach der aktuellen S3-Tinnitusleitlinie neben apparativ-akustischen Therapien (Hörgerät, Rauschgenerator, Cochlea-Implant), vor allem für die stark belasteten Betroffenen, effiziente psychotherapeutische Verfahren zur Verfügung.
Aus einem multifaktoriellen Erklärungsansatz lassen sich mehrzügige Therapiekonzepte ableiten, deren Veränderungsziel sich auf Aufmerksamkeitslenkung, Befürchtungen, dysfunktionale Bewältigungsstrategien, operante Aspekte, Verarbeitungsstil und erlebte Behinderung richten, um den Teufelskreis, bestehend aus Aufmerksamkeitszuwendung, dysfunktionale Bewertung der Geräusche, Stressreaktion und Tinnitus-Verschlimmerung zu unterbrechen.
Ziel ist es, wieder eine positive Lebenseinstellung und eine bessere Lebensqualität zu erreichen.
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