Unendliche Müdigkeit
Muskelschmerzen, Kreislaufprobleme und vor allem lähmende Erschöpfung: Die Erkrankung ME/CFS reißt Betroffene völlig aus dem Leben. Schon nach dem Zähneputzen fehlt ihnen die Kraft, Körper und Geist sind kaum belastbar. Die Diagnose ist schwierig, Therapien fehlen.
Viele Betroffene laufen von Arzt zu Arzt bis die Diagnose steht: Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom – kurz ME/CFS. Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité erklärt: "Das charakteristischste Symptom dieser Erkrankung ist die Belastungsintoleranz, das heißt nach den leichtesten Alltagsaktivitäten geht es einem schlechter und es kommt zu einem Crash. Es kann sein, dass Betroffene tagelang im dunklen Zimmer liegen müssen, weil sie empfindlich auf Licht und Geräusche reagieren und starke Schmerzen haben." Typisch ist: Pausen bewirken keine Erholung.
Zu der ständigen Erschöpfung kommen weitere unspezifische Symptome:
- Konzentrations-, Sprach- und Gedächtnisstörungen
- Schlafstörungen
- Kreislaufprobleme
- Gelenk-, Muskel- und Kopfschmerzen
- Darmbeschwerden
- Schwindel, Stress- und Reizempfindlichkeit
- Langandauernde Infektionen
Aus dem Leben gerissen
Patientinnen und Patienten verschwinden oft einfach von der Bildfläche, manche kommen kaum noch aus dem Haus. Schon der ganz normale Alltag kostet unendlich viel Energie. Freunde treffen, Sport machen oder arbeiten – alles, was zum Leben dazugehört, wird für viele unmöglich. Weil sich die Krankheit nicht eindeutig nachweisen lässt, kommt es häufig zu Fehldiagnosen wie Burnout oder Depression. Denn obwohl die Krankheit etwa so häufig wie Multiple Sklerose ist, fehlt bei vielen Hausärztinnen und Hausärzten das Wissen. Es ist kein seltenes Leiden, aber ein unbekanntes.
Die Forschung weiß immer noch wenig über ME/CFS. Klar ist: Es ist keine psychische Erkrankung, wie oft angenommen wird, sondern die Wissenschaft geht von einer Autoimmunerkrankung aus. Die Ursache ist unbekannt, ausgelöst werden die Symptome in der Regel nach Infekten wie dem Pfeifferschen Drüsenfieber oder einer Grippe. Schon Jugendliche können erkranken, bis zum Alter von etwa 50 Jahren ist das Risiko hoch. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. ME/CFS ist stärker in den Blickpunkt gerückt seitdem die unendliche Erschöpfung auch nach Infektionen mit dem Corona-Virus auftritt.
Behandlung: lernen mit der Energie zu haushalten
Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen von der Charité spricht von einer "Therapie der kleinen Schritte": Helfen können Medikamente, die den Kreislauf stabilisieren bzw. Schmerzen lindern. Auch Physiotherapie und Entspannungsübungen können positive Effekte haben. Am wichtigsten ist aber das sogenannte Pacing. Patienten müssen lernen mit ihrer Kraft zu haushalten und Überlastung zu vermeiden: "Die Situation ist natürlich unbefriedigend. Viele Betroffene stehen erst am Anfang oder in der Mitte ihres Lebens. Gerade bei jungen Menschen ist es wichtig zu schauen, was beruflich noch möglich ist. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, um nicht aus der Gesellschaft zu fallen."
Eine Chance auf Heilung gibt es derzeit nicht, die Therapie setzt ausschließlich an den Symptomen an. Prof. Dr. Scheibenbogen erklärt: "Die Erkrankung ist bisher nicht gut genug untersucht. Wenn wir den Mechanismus besser verstehen, könnten wir mit bereits zugelassenen Medikamenten arbeiten. Aber vorher müssen wir die natürlich in Studien überprüfen."
mkk arbeitet an neuem Versorgungskonzept mit
Im Moment liegt der Fokus darauf, die Versorgung zu verbessern. Denn die meisten Betroffenen werden von ihren Hausärztinnen und Hausärzten behandelt, die sich mit dem Krankheitsbild oft wenig auskennen. Nur an der Berliner Charité gibt es eine Sprechstunde für Erwachsene, in München arbeitet eine Ambulanz für Kinder und Jugendliche. Damit die Versorgung deutschlandweit besser funktioniert, hat die mkk zusammen mit anderen Krankenkassen und der Charité – Universitätsmedizin Berlin – ein Pilotprojekt aufgesetzt. Ziel sind neue Therapiekonzepte. Andrea Galle, Vorständin der mkk: "Im Rahmen unseres Projekts ist es vorgesehen, ein Konzept für eine Versorgungsstruktur zu entwickeln, das von anderen Ambulanzen, niedergelassenen Ärzten und Rehakliniken künftig übernommen werden kann." Dass durch Covid ein Spot auf die Erkrankung fällt, ist für Betroffene ein kleiner, aber wichtiger Hoffnungsschimmer.
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