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ME/CFS

ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom) ist eine meist schwer verlaufende chronische Erkrankung, von der etwa 0,3 bis 0,5 Prozent der Menschen weltweit betroffen sind. In Deutschland gibt es schätzungsweise rund 300.000 Patientinnen und Patienten, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

Typisch bei ME/CFS ist eine geringe Belastbarkeit. Symptome können sich schon nach leichten körperlichen oder geistigen Aktivitäten verschlimmern. Die Krankheit schränkt die Lebensqualität oft stark ein. Bislang gibt es keine zugelassene spezifische Therapie und nur wenige klinischen Studien.

Wir haben mit Anja Riebold gesprochen, die vor rund eineinhalb Jahren die Diagnose ME/CFs erhalten hat. Die Patientin beschreibt, wie sie mit der Krankheit lebt, von traurigen und hoffnungsvollen Momenten, wie ihre Erfahrungen beim Innovationsfondsprojekt CFS_CARE waren und was sie sich für die Zukunft wünscht.

Porträt der ME/CFS Patientin Anja Riebold
Anja Riebold ist 49 Jahre und wohnt mit ihrem Partner in Berlin-Wedding. Sie liebt ihren Garten und ihre Freunde, die Ostsee und zelten in den Dünen, das kulturelle Leben in Berlin und die grünen Weiten in Irland. Hauptberuflich arbeitet Anja seit 20 Jahren bei der BKK VBU, zur Zeit mit einer Teilzeitstelle im Marketing. Ihr Motto: „Es geht im Leben nicht darum zu warten, dass das Unwetter vorbei zieht. Es geht darum, zu lernen, im Regen zu tanzen."
  • Wie lange hat es gedauert, bis du die Diagnose ME/CFS bekommen hast?

Das war im Verhältnis zu anderen mit dieser Krankheit recht schnell: zwei einhalb Jahre. Da liegt Ironie im Satz. Denn recht schnell ist das bei weitem nicht. Aber andere haben zehn Jahre oder länger den Ärztemarathon hinter sich.

Begonnen hat alles mit einer Grippe. Zuerst stand trotzdem die Fehldiagnose Erschöpfungsdepression im Raum. Also habe ich natürlich versucht, mich viel zu bewegen, denn das soll ja schließlich bei Depression helfen. Das hat letzten Endes aber alles verschlimmert und trotz wirklich guter psychologischer Betreuung habe ich zwar meine psychischen Päckchen gut verarbeiten können, aber an meinen Symptomen hat sich wirklich NICHTS verändert.

Im Gegenteil. Alles ist nach und nach viel schlimmer geworden. Und dann kam endlich von meiner Frauenärztin der entscheidende Hinweis mit ME/CFS. Ich solle das doch mal bei meiner Hausärztin ansprechen. Die gesicherte Diagnose habe ich dann erst durch die CFS_Care-Studie erhalten.

  • Wie kann CFS diagnostiziert werden?

Das entscheidende Merkmal, das die Krankheit von anderen Indikationen wie Depression oder Burnout abgrenzt, ist PEM = Postexertionelle Mallaise oder in einfachen Worten Belastungsintoleranz. Bei Überanstrengung folgt eine deutliche Verschlechterung der Symptome, die mehrere Stunden oder sogar mehrere Tage anhalten kann. Fatigue ist nicht das entscheidende Symptom. Das gibt es als Begleiterkrankung auch bei vielen anderen Erkrankungen wie MS oder Rheuma.

  • Welche (typischen) Symptome hast du?

Meine dauerhaften Symptome sind wenig Energie (wie bei einem kaputten Akku, der nur noch 40 Prozent lädt und das Ladegerät ist auch nicht mehr ganz in Ordnung), Muskelschmerzen, Kraftlosigkeit der Muskeln. Die sind in unterschiedlicher Ausprägung jeden elendigen Tag vorhanden. Neuropathische Schmerzen.

Bereits direkt nach dem Aufwachen fühlt sich der Körper wie Blei an. Einige Gelenke schmerzen. Die Muskeln schmerzen auch im Ruhezustand. Schlechter Schlaf, Schnupfen und Grippegefühl, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Fatigue und Konzentrationsschwierigkeiten - sogenannter Brainfog, das ist wie Nebel im Kopf, ein Loch im Hirn, man kann sich schlecht auf eine Sache konzentrieren, hat Wortfindungsstörungen und an Multitasking ist nicht zu denken. Reizempfindlichkeit.

Es ist nicht einfach nur Müdigkeit oder mal Kopfschmerzen. Es ist die Summe der Symptome, die einen zermürben. Alle gleichzeitig und nie endend.

Bei Überforderung verstärken sich sämtliche Symptome und es kommen starke Kopf- und Augenschmerzen mit extremer Reizempfindlichkeit gegen Licht und Geräusche dazu. Bei leichter Ausprägung reicht eine Sonnenbrille und den Rest des Tages alles ganz besonders ruhig angehen lassen.

Im schlimmeren Zustand hilft nur noch hinlegen, Ohrstöpsel rein gegen Geräusche und das Zimmer abdunkeln, Schlafbrille gegen Restlicht und hoffen, dass meine Muskeln noch stark genug sind, um zwischendurch auf Toilette zu kommen.

Lebensqualität sieht anders aus.

  • Wie reagiert Ihr soziales Umfeld?

Oh, das ist sehr unterschiedlich. Mein ganz enges Umfeld, also meine besten Freunde und Familie haben toll reagiert. Sie haben viel Verständnis und unterstützen mich, wenn sie es können.

Mein Partner ist meine größte Stütze. Er nimmt mir so wahnsinnig viel ab und ist einfach nur für mich da und pflegt mich, wenn es mir mal wieder ganz dreckig geht.

Auch mein Arbeitgeber war sehr verständnisvoll, was nach zwei Jahren Arbeitsunfähigkeit keine Selbstverständlichkeit ist.

Aber das Leben wäre nicht ausgeglichen, wenn es nicht auch negative Erfahrungen gäbe. Ich merke wie sich Freundschaften, die nicht ganz so eng waren, auflösen, einfach aus dem Grund, weil ich nirgendswo mehr hinkommen kann. Ich verschwinde ungewollt.

Es gibt auch diejenigen, denen neidvoll das Essen aus dem Gesicht fällt, wenn ich erzähle, dass ich eine Teilrente zugesprochen bekommen habe. Aber zu beneiden gibt es da wirklich nichts.

Oder diejenigen, denen ich am Gesicht ablesen kann, dass sie da jetzt keine Empathie für meine Schmerzen oder Kraftlosigkeit besitzen und ungläubig gucken. Aber diese Menschen sind mir im Grunde egal. Solange sie mich nicht persönlich anfeinden, muss ich zum Glück auch keine Kraft in sie investieren.

Es hat nichts mit normaler Müdigkeit oder Muskelkater zu tun, die ich ja schließlich auch von früher kenne. Es ist komplett anders, schwer zu beschreiben und um ein Vielfaches schlimmer.

  • Was müssen Sie im Alltag beachten?

Hauptsächlich muss ich meine Energie gut einteilen und beachten, dass ich mich nicht überfordere. PEM oder ein Crash, wie es auch genannt wird, muss dringend vermieden werden, da dies zu einer dauerhaften Verschlechterung der Krankheit führen kann. Ich muss meine Grenzen genau kennen. Ein Symptomtagebuch und eine Fitnessuhr haben mir geholfen diese Grenzen zu finden.

Im Prinzip stehst Du morgens auf und musst entscheiden, ob heute ein guter oder schlechter Tag ist, und was Du machen kannst. Da ist häufig jede Planung über Bord geworfen. Dann heißt es nur noch Erfahrungswerte abrufen und den Tag anpassen.

Ich kann zum Beispiel nicht lange stehen oder lange am Stück laufen, mein Puls sollte möglichst nicht über 90 gehen und um die 4000 Schritte am Tag sollte ich nicht groß überschreiten, drunter bleiben ist besser. Alltägliche Dinge strengen mich an. Duschen, mir was zu Essen kochen, ein kleiner Spaziergang. Neben der Teilzeitarbeit schaffe ich davon nur noch ein, höchstens zwei Dinge. Nach jeder Tätigkeit muss ich eine lange Pause machen. Die Wohnung sauber zu halten, übernimmt mein Freund, sonst wäre an Arbeit überhaupt nicht zu denken.

Wenn ich an den Wochenenden meine Kraft nicht für geistige Arbeit benötige, dann schaffe ich körperlich etwas mehr. Aber an ein aktives Leben mit Urlauben, Sport, normalem Arbeitstag und vielen Freunden im Leben ist nicht mehr zu denken. Um es zu verdeutlichen: Meine 82jährige Mutter ist fitter als ich.

Und ich muss wirklich drauf achten, nicht auch noch in eine Depression zu rutschen, weil einfach nichts mehr wie früher ist. Ich habe so viele kreative Ideen im Kopf, die ich am liebsten umsetzen würde. An Tatendrang mangelt es nicht. Wenn es mich aber in einen Crash bringt, weil ich ein wenig gebastelt habe, dann deprimiert mich das so dermaßen, dass ich heulen könnte.

  • Was wünschst du dir für die Zukunft?

Endlich wieder normal Leben. Nicht jeden Schritt überdenken müssen. Keine Angst mehr vor Crashs zu haben, keine Angst mehr vor einer Verschlechterung der Krankheit zu haben. Meine Freunde sehen können, wann ich möchte.

Früher war ich absoluter Irland-Fan. Manchmal war ich zwei oder dreimal im Jahr dort, bin auf Berge gestiegen oder habe lange Strandspaziergänge gemacht. Es versetzt mich in tiefe Trauer, dass es für mich so unerreichbar scheint, das jemals wieder erleben zu können. Die Hoffnung gebe ich jedoch noch nicht auf. Momentan lebe ich von den Erinnerungen.

Da der Stand der Wissenschaft momentan aber eher so aussieht, dass die Krankheit noch nicht heilbar ist, ist mein Wunsch eher, es zu schaffen diese Krankheit zu akzeptieren. Damit tue ich mich sehr schwer. Ich trauere meinem alten Leben noch sehr stark hinterher. Aber ich schaffe es noch vor die Tür und ertrage Tageslicht.

Ich habe einen Garten, in dem ich zwar meist nur Zuschauer bin oder Anweisungen gebe, wenn meine allerliebsten Freunde die Beete beackern und Unkraut jäten, aber ich kann ihn dadurch noch halten und darf ihn genießen.

Es versetzt mich jedoch in noch tiefere Trauer, wenn ich an all die Schwerstbetroffenen denke, für die selbst reden oder Lachen zu anstrengend sind. Denen Tageslicht oder Geräusche dauerhaft Schmerzen bereiten. Die seit Jahren keinen Schritt vor die Tür machen konnten und bettlägerig sind. Vor denen ziehe ich meinen Hut. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich das durchhalten würde.

Mein Herzenswunsch: Wieder alle Dinge ohne Einschränkung tun können, die ich liebe. Meine Lieblingshobbys wieder aufnehmen können. Die Mission heißt Leben, nicht überleben, denn Überleben reicht nicht, sagte der Schmetterling, Sonnenschein, Freiheit und eine kleine Blume gehören auch dazu. (frei nach Hans Christian Andersen).

Symptomtagebuch

Um mit der Krankheit ME/CFS leben zu können, ist es wichtig, Beschwerden zu dokumentieren und ein Verständnis für die Krankheit zu entwickeln. Daher hat Anja ein Symtomtagebuch entwickelt, das sie hier allen Betroffenen zur Verfügung stellt.

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