Kinderwunschbehandlung
Ein Beitrag von Andrea Galle, Vorständin mkk
"Sachliche Gründe"?
Eine Krankenbehandlung als Krankenkassenleistung, die nur verheirateten Versicherten zur Verfügung steht – wenn Sie denken, ich mache Witze: weit gefehlt! Denn auch im gerade frisch begonnenen Jahr 2023 dürfen gesetzliche Krankenkassen weiterhin nur Paaren mit Eheurkunde eine Kinderwunschbehandlung bezuschussen.
Das ist nicht nur unzeitgemäß, sondern geradezu diskriminierend. Und daher für mich Anlass, im neuen Jahr nochmal mit besonderem Fokus auf dieses Thema zu schauen, das uns eigentlich schon viele Jahre beschäftigt: 2014 sind wir als mkk bis vor das Bundessozialgericht gezogen, um auch unverheirateten Paaren einen Kostenzuschuss zur künstlichen Befruchtung bewilligen zu können. Mit seinerzeit ernüchterndem Ergebnis: Es wurde uns gerichtlich untersagt, unverheiratete Paare mit Kinderwunsch zu unterstützen. Der Gesetzgeber habe aus "sachlichen Gründen die Leistungen zur Kinderwunschbehandlung ausdrücklich auf Ehepaare beschränkt", hieß es damals und "nur der Gesetzgeber könne dieses Verbot aufheben".
Das Urteil wird sich im nächsten Jahr zum zehnten Mal jähren. Für mich ein guter Anlass, zu fragen, was seitdem passiert ist. Was hat sich verändert? Mit Blick auf den Gesetzgeber ist Antwort einfach: Nichts. Aber mit Blick auf unsere Gesellschaft würde die Antwort auf die ursprüngliche Fragestellung des Jahres 2014 im Jahr 2023 wohl differenzierter ausfallen. Nach meiner Wahrnehmung hat sich in unserer Gesellschaft sehr viel bewegt: Die Sichtweisen und Haltungen insbesondere der jungen Generationen auf das, was die Solidargemeinschaft für den Einzelnen leisten sollte, auf Diversität, Individualität, Diskriminierung und gesellschaftlichen Zusammenhalt sind andere geworden.
Das Urteil von damals wirft bis heute Fragen auf: Bietet eine Ehe mehr Sicherheit für das Kind? Sind verheiratete Paare die besseren Eltern? Solche Fragen kann man sicherlich stellen, nur: Eine Krankenkasse ist keine moralische Instanz, die darüber entscheiden sollte und wir wollen auch nicht qua Gesetz zu einer solchen gemacht werden. Es ist auch unseren Mitarbeitenden nicht mehr vermittelbar, dass sie gegenüber Antragstellenden solcherart Begründungen abgeben sollen und somit direkt mit dem moralischen Zeigefinger auf unsere Kundinnen und Kunden zeigen, wenn sie einen Antrag wegen fehlender Eheurkunde ablehnen.
Familienplanung in der Pandemie
Wenn wir einen Blick auf unsere eigenen Versorgungszahlen werfen, zeigte sich ein Anstieg an Kinderwunschbehandlungen mit Beginn der Pandemie. Hatten im Jahr 2019 noch 209 Versicherte unsere Zusatzleistung eines erhöhten Zuschusses zu den Behandlungskosten in Anspruch genommen, waren es in den Pandemiejahren 2021 und 2022 jeweils 287 bzw. 242 Versicherte Das lässt vermuten, dass viele Paare mehr Zeit hatten, sich mit dem Thema Familienplanung auseinanderzusetzen. Möglicherweise hatten sie auch aufgrund der diversen pandemiebedingten Einschränkungen gesparte finanzielle Ressourcen zur Verfügung. Ab 2022 lässt sich wieder ein Rückgang an Behandlungen feststellen. In unsicheren Zeiten geprägt durch den Ukraine-Krieg, einer wachsenden Inflation und sich zuspitzenden Klimakrise verlässt Paare wohl der Mut, eine Familie gründen zu wollen.
Die Zahlen zeigen aber auch in Relation zu den rund 4700 Geburten, die wir in der Versichertengemeinschaft der mkk in den letzten drei Jahren jeweils verzeichnet haben, deutlich, dass Kinderwunschbehandlungen nur einen Bruchteil unserer Neugeborenen-Statistik ausmachen: Es ist eine kleine Minderheit, die nur mithilfe künstlicher Befruchtung zu Eltern werden kann und deswegen unsere Unterstützung braucht. Zudem wird klar, dass es sich bei Weitem um keine beitragsrelevanten Ausgaben handelt – auch wenn die Krankenkassen bei der Unterstützung nicht mehr nach der Eheurkunde fragen müssten.
Zu alldem kommt der Druck, der eh auf den (auch verheirateten) ungewollt kinderlosen Paaren liegt, der durch eine gesetzliche Limitierung auf drei Versuche noch gesteigert wird. Wohl jedes ungewollt kinderlose Paar kennt die wohlgemeinten Ratschläge „Entspannt Euch“. Kann man entspannt in eine Behandlung gehen, wenn man weiß „Wir haben nur drei Versuche“? Einige haben bei den drei Versuchen eben Glück – andere nicht.
Eine notwendige medizinische Behandlung wegen eines unerfüllten Kinderwunsches ist für die betroffenen Paare nicht nur eine psychische Belastung, sondern stellt oft – ob verheiratet oder nicht – eine erhebliche finanzielle Hürde dar. Bereits die Beschränkung der Zuschüsse auf 50 Prozent der Kosten, selbst wenn einige Kassen, so wie die mkk auch, den Zuschuss aufstocken, schafft zusätzlich einen tiefen Graben zwischen den Paaren, die sich ein Kind leisten können und jenen, die das Geld nicht aufbringen können. Im Sinne des Solidarprinzips, auf dem die GKV fußt, ist dies nicht.
Keine Lifestyle-Behandlung
Was mir in der Debatte und im Rechtsstreit all die Jahre zu kurz kam, ist die Tatsache, dass Paare, die sich einer Kinderwunschbehandlung unterziehen, nicht aus Lifestyle-Gründen einem egoistischen Wunsch nachgehen. Die Formulierung „Kinderwunschbehandlung“ umschreibt viel zu verniedlichend, dass es sich nach dem Wortlaut des SGB V um eine Krankenbehandlung handelt, auf die Versicherte dem Gesetz nach Anspruch haben.
Voraussetzung für eine Kinderwunschbehandlung ist daher immer eine medizinische Notwendigkeit, die so auch ärztlich festgestellt werden muss.
In nicht seltenen Fällen hängt diese ja auch mit Begleit- oder Grunderkrankungen wie Hodenhochstand, Endometriose etc. zusammen, die zwar für sich genommen behandelt werden, die daraus resultierende eingeschränkte Zeugungsfähigkeit aber wegen der gesetzlichen Einschränkung ggf. nicht.
Diversität der Entscheidungsstrukturen hat Einfluss auf Entscheidungen
Wie kommen eigentlich solche Entscheidungen zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen zustande? An bestimmten Entscheidungen der Vergangenheit lässt sich durchaus Rückschluss auf Entscheidungsstrukturen und -träger nachvollziehen.
Beispielsweise ist die Behandlung erektiler Dysfunktion des Mannes Kassenleistung – unabhängig vom Alter des Mannes oder der Tatsache, ob er ledig, verheiratet oder gleichgeschlechtlich verpartnert ist. Nicht, dass diese Versorgungsleistung nicht begrüßenswert wäre, aber sie zeigt doch sehr plakativ auf, dass Gesetze immer auch geprägt sind von den ggf. eigenen Lebenswelten der Entscheidungstragenden und die waren in der Vergangenheit überwiegend männlich.
Wenn ich mich an die vielen Gespräche, die ich vor zehn Jahren geführt habe, zurückerinnere, dann konnte man dort die Tendenz wahrnehmen, dass das Thema der ungewollten Kinderlosigkeit doch eher als Frauenproblem behandelt wurde. Vielleicht, weil es für Männer eine noch größere Tabuzone bedeutete, nicht zeugungsfähig zu sein. Dabei liegt die Ursache nahezu gleich häufig bei Mann und Frau.
Und: Auch wenn es uns ausschließlich darum ging, eine medizinisch notwendige Behandlung bei gleicher Indikation nicht nach dem Familienstand zu gewähren, traf ich 2014 zudem auf eine ziemlich homophobe Haltung, die in dem angstvollen Spruch „Dann könnte ja ein lesbisches Paar ein Kind bekommen“ gipfelte. Auch damals gab es natürlich nicht nur Skeptiker, sondern auch Befürworter. Bd.90/Die Grünen beispielsweise wollten damals die Bedingungen ändern, waren aber nicht in der Regierungsverantwortung. Nun sind sie es….
Aus der Zeit gefallen
Das Zusammen- und Familienleben hat sich in den vergangenen 20 Jahren fundamental gewandelt. Ebenso wie die Gesellschaft hat sich auch die Medizin und damit die Möglichkeiten der Versorgung enorm verändert. Unsere Philosophie als mkk ist es, Leistungen zu gestalten, die sich an den Lebensrealitäten der Kundinnen und Kunden orientieren und sich den Bedürfnissen und Tatsachen einer wandelnden diversen Gesellschaft anpassen. Eine Krankenbehandlung, die eine Eheurkunde voraussetzt, und damit die Lebenswirklichkeit ignoriert, gehört unserem Verständnis nach nicht dazu.
Sich gegen diese ungerechte Regelung wehren, werden jedoch die wenigsten Paare. Denn ungewollt kinderlose Paare haben keine Lobby. Sie werden ihr Problem nicht öffentlich machen, weil es eben auch die Intimität eines Paares berührt. Stattdessen – und erlauben Sie mir an der Stelle etwas Sarkasmus – lässt die Solidargemeinschaft die betroffenen Menschen im Regen stehen, und knöpft ihnen gleichzeitig wegen der Kinderlosigkeit unter dem Deckmantel der Solidarität höhere Beiträge zur Pflegeversicherung ab.
Die mkk gibt es in diesem Jahr seit 30 Jahren. Seit drei Dekaden geben wir alles, um unsere Kundinnen und Kunden auf ihrem individuellen Gesundheitsweg auch individuell zu unterstützen. Das Urteil, dass eine Eheurkunde dafür Voraussetzung sein soll, jährt sich nach diesem Jahr zum zehnten Mal. Lassen Sie uns gemeinsam das Jahr 2023 nutzen, um auch bei der Kinderwunschbehandlung gerechte Voraussetzungen zu schaffen, ungewollt kinderlosen Paaren gleichberechtigt und diskriminierungsfrei die Chance auf glückliche Elternschaft zu ermöglichen!