60 Jahre Pille in Deutschland
Die erste Antibabypille "Anovlar" kam am 1. Juni 1961 auf den deutschen Markt und markierte damit ein neues Zeitalter für die Frau. Doch seitdem hat sich nicht viel getan. Nach wie vor müssen Frauen, die die Pille einnehmen, mit vielen - teils schweren - Nebenwirkungen leben. An verschreibungspflichtigen Verhütungsmitteln für den Mann wird dagegen wenig geforscht.
Kleine Tablette – große Liste an Nebenwirkungen
Im Jahr 2021 ist Verhütung nach wie vor meist Frauensache. Die Krux ist: Wenn Frauen auf künstliche Hormone in Form der verschreibungspflichtigen Antibabypille verzichten wollen, fehlt es an Alternativen. Entscheiden sie sich für die Pille, sind sie doppelt belastet, denn oft liegen die Kosten bei ihnen alleine und sie müssen mit einer Vielzahl von Nebenwirkungen leben. Die Menge des Hormons wurde zwar seit den 1960er Jahren gesenkt, dennoch ist die Liste der unerwünschten Nebenwirkungen immer noch lang: Depressionen, Gewichtszunahme oder vor allem ein erhöhtes Risiko für Thrombosen und Lungenembolien gehen mit der Pille einher, letzteres hat sich sogar seit den 1990 er Jahren noch erhöht. Dennoch wird vorausgesetzt, dass Frauen diese Nebenwirkungen zuzumuten sind, im Gegensatz zu Männern: Im Jahr 2011 wurden beispielsweise die Forschungen der WHO abgebrochen, weil die Probanden über schwere Nebenwirkungen klagten – nahezu die gleichen, die die Pille für die Frau mit sich bringt.
Erstattungsfrage löst nicht das Problem: Mehr Forschung nötig!
Gemeinsam fordern daher Jana Pfenning, Rita Maglio, Initiatorinnen der Petition „Better Birth Control“ und Andrea Galle, Vorständin der Krankenkasse mkk, mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung, um bestehende Verhütungsmittel zu verbessern und neue Möglichkeiten, insbesondere für Männer, zu entwickeln. "In der Vergangenheit wurde immer wieder an vielversprechenden Verhütungsmitteln für Männer geforscht, allerdings hat es bisher kein Produkt auf den Markt geschafft. Den Grund dafür sehen wir vor allem in fehlenden Forschungsgeldern und mangelndem Engagement seitens Politik und Industrie", so Jana Pfenning.
Zudem thematisieren Pfenning und Galle die Kostenfrage verschreibungspflichtiger Verhütungsmittel. Laut § 24a SGB V werden diese für die Frau nur bis zum 22. Lebensjahr von den Krankenkassen erstattet. Jana Pfenning sieht dies kritisch: "Verhütung darf nicht von finanziellen Mitteln abhängen und schon gar nicht daran scheitern. In dem Alter sind viele Frauen noch in der Ausbildung und können es sich schlichtweg nicht leisten. Zudem ist die Erstattung bis zum 22. Lebensjahr eine vollkommen willkürlich festgelegte Altersgrenze. In Frankreich oder Großbritannien werden Verhütungsmittel bereits von den Krankenkassen erstattet."
Krankenkassen in Deutschland haben jedoch keine rechtliche Grundlage, verschreibungspflichtige Verhütungsmittel auch nach dem 22. Lebensjahr zu erstatten. "Es liegt nicht am Willen der Krankenkassen. Es ist eine Frage einer ausgewogenen Politik, dies zu ändern", so Galle. "Allerdings warnen wir davor, nur den finanziellen Aspekt zu sehen, denn die Erstattungsfrage löst nicht alleine das Problem und verbessert die Situation der Frauen. Weiterhin sollen sie hauptverantwortlich für die Verhütung sein, müssen Nebenwirkungen in Kauf nehmen, aber dafür wenigstens nicht mehr zahlen? Das reicht nicht!", stellt Galle fest.
Es brauche neben dem finanziellen Aspekt vor allem den Willen und die Bereitschaft bei Politik, Wissenschaft und Industrie, das Forschungsthema Verhütung weiter voranzutreiben und breiter aufzustellen. Um die Situation langfristig zu ändern, sei mehr Aufklärung und Sensibilisierung für ein Umdenken notwendig, sind sich Pfenning, Maglio und Galle einig.
"Es scheint einfach keinen zu interessieren!"
Einen Grund für die Problemlage beim Thema Verhütung sehen Galle, Maglio und Pfenning auch darin, dass Frauen in Führungspositionen im Gesundheitswesen deutlich unterrepräsentiert seien und so der "weibliche Blick in Entscheidergremien" fehle. "Für eine Sicht auf das Thema Verhütung, die beiden Geschlechtern gerecht wird, ist ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei Entscheidungsfindungen für die medizinische Versorgung eine zentrale Voraussetzung", so Galle.