Bessere Medizin für alle
Während den meisten Menschen gar nicht bewusst ist, dass der männliche Körper in der Medizin noch immer als der Standard gilt, sind es besonders die unter 30-Jährigen, die sich ein Umdenken wünschen.
Knapp drei Viertel der Bundesbürgerinnen und -bürger sind in unserer repräsentativen Umfrage der Meinung, dass die medizinische Versorgung gleichermaßen an beiden Geschlechtern ausgerichtet ist. Doch die Realität ist eine andere: Der männliche Körper gilt in der Medizin gemeinhin als Bewertungsmaßstab, egal ob im Behandlungszimmer, in der Notaufnahme oder bei klinischen Studien, in denen vor allem Daten und Erkenntnisse über Männer gesammelt werden.
Jüngere Menschen sind stärker sensibilisiert für die tatsächlichen Verhältnisse als ältere und wissen um die Ausrichtung der medizinischen Versorgung am "männlichen Normkörper" – sie sind es vor allem, die eine geschlechtsspezifische Gesundheitsversorgung einfordern.
Wie wichtig ist es für Sie, dass in der Gesundheitsversorgung auf das Geschlecht geachtet wird?
Wirklich nur "der kleine" Unterschied?
Frauen sind in der Regel kleiner als Männer, bringen weniger Gewicht auf die Waage, haben kleinere Organe, einen anderen Stoffwechsel und einen anderen Hormonhaushalt. Diese biologischen Unterschiede führen dazu, dass nicht nur Krankheiten anders verlaufen, sondern dass auch Medikamente bei Frauen und Männern unterschiedlich wirken. So konnten zum Beispiel Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachweisen, dass Schmerzmittel bei Frauen oft schlechter und kürzer wirken als bei Männern.
Nun sollten Männer und Frauen erwarten können, dass sie von Ärztinnen und Ärzten sowie Apothekerinnen und Apothekern zu den für ihr Geschlecht spezifischen Nebenwirkungen und Dosierempfehlungen aufgeklärt werden – doch in den meisten Fällen bleibt genau diese Beratung aus, wie unsere Umfrage zeigte.
Zum Nachhören ein Beitrag, erschienen im Radio Potsdam
Patientinnen und Patienten mit klarer Forderung
Von der Pharmaindustrie wünscht sich die Mehrheit, dass auch in den Packungsbeilagen von Medikamenten auf die Unterschiede hingewiesen wird: Rund drei Viertel der Befragten halten geschlechtsspezifische Dosierungsangaben im Beipackzettel für sinnvoll. Dabei fällt auch hier auf, dass sich besonders junge Menschen unter 29 Jahren für mehr Diversität auf dem Beipackzettel aussprechen.
Es ist an der Zeit, endlich den Blick auf die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau zu lenken, sodass beide Geschlechter davon profitieren. Die Umfrageergebnisse bestätigen, dass dies auch die Patientinnen und Patienten für eine optimale Gesundheitsversorgung einfordern.
„Die Männer“ sind nicht das Problem
Versucht man den Ursachen für das beschriebene Ungleichgewicht auf den Grund zu gehen, ist mancher möglicherweise versucht, "die Männer" zum zugrunde liegenden Problem zu erklären. Aber das Problem sind nicht die Männer.
Das Problem sind die fehlenden Frauen. Das ist nicht nur in Bezug auf fehlende Daten beider Geschlechter so. Vieles deutet darauf hin, dass auch die Entscheidungsstrukturen mangels Frauen in den Führungsetagen eher nicht optimal sind.
Solange die Situation so ist, wird es sich auf die Behandlungsempfehlungen und somit unmittelbar auf die Gesundheit der Patientinnen und Patienten auswirken. Das kann - gerade für Erstere - viel ausmachen.
"Es führt kein Weg daran vorbei, die Entscheidungsstrukturen des Gesundheitssystems anzupassen", sagt Andrea Galle, Vorständin der mkk. Immerhin, die Politik hat das Problem erkannt und im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung verankert:
Eine Versorgung, die geschlechtsspezifisch und in der Ansprache zudem geschlechtssensibel ist und möglichst viele Menschen passgenauer so versorgt, wie sie es brauchen, braucht Entscheidungsstrukturen, die unser Gesundheitswesen auch danach ausrichten. Und zwar vom Anfang in Forschung und Lehre bis zu der einzelnen Patientin in der Apotheke oder im Behandlungszimmer. Davon sind wir heute trotz eines wachsenden Problembewusstseins noch zu weit entfernt.
Ja, es ist Zeit für mehr Diversität in unserem Gesundheitswesen. Nicht weil es Mode ist, sondern weil es Patientinnen und Patienten nützt - mit mehr Behandlungsqualität, mehr Lebensqualität und auch, weil das schonender mit unseren Ressourcen umgeht.
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