Aus der Selbstverwaltung
In gesetzlichen Krankenkassen trifft der paritätisch mit Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer besetzte Verwaltungsrat Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung. Er beschließt etwa Änderungen der Satzung oder der Haushaltspläne. Die Vorsitzenden des Verwaltungsrats der mkk, Theodor Meine und Frank Kirstan, über die aktuelle Lage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und eine große Chance, die die Sozialwahlen 2023 für das Gesundheitswesen in Deutschland bieten.
Herr Meine, während die Herausforderungen der Pandemie in der GKV weiterhin mindestens nachwirken, Ausgaben steigen und Einnahmen unter Druck geraten, hat ein neuer Gesundheitsminister seine Arbeit aufgenommen. Welches Zwischenzeugnis stellen Sie ihm aus?
Zunächst möchte ich festhalten, dass ich nicht mit Karl Lauterbach tauschen möchte. Die Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen sind riesig und haben an Komplexität zugenommen – auch, weil Lauterbachs Vorgänger sich viel zu lange vor substanziellen Strukturreformen gescheut haben.
An vielen "wunden Stellen" wurde vor allem mit Geldpflastern gearbeitet. Dieses Geld, aufgebracht von Versicherten und Arbeitgebern, ist aber endlich. Und dass Geld per se Strukturprobleme nicht nachhaltig lösen kann, ist eigentlich eine Binse. Die hier aber wieder einmal bewiesen wurde.
Dies vorausgeschickt, muss ich aber sagen: Ich hätte mehr vom Minister erhofft und erwartet. Die im Sommer 2022 vorgelegten Pläne zur weiteren Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung etwa wirken für mich wie ein halbgarer Kompromiss der Ampelkoalition, für den die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler am Ende viel werden bezahlen müssen.
Und halbgare Kompromisse hatten wir aus meiner Sicht schon vorher zu viele. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Kompromisse sind ein wichtiges Werkzeug unserer Demokratie. Aber man sollte immer schauen, welche Überzeugungen Kompromisse beeinflussen und ob diese Überzeugungen dem eigentlichen Ziel dienen oder anderweitig motiviert sind.
Kurz- und mittelfristige Lösungen liegen zudem auf dem Tisch: Das betrifft die bereits im Koalitionsvertrag verabredete hinreichende Beitragsfinanzierung der ALG-II- Empfängerinnen und -Empfänger, aber auch die Absenkung der Mehrwertsteuersätze auf Medikamente. Für die Zukunftsfähigkeit sind insbesondere im stationären Sektor außerdem Strukturreformen unabdingbar.
Herr Kirstan, wie bewerten Sie als Vorsitzender der Versichertenseite die Finanzierungspläne der Politik?
Um mit dem Positiven zu beginnen: Minister Lauterbach hat Leistungskürzungen für die gesetzlich Versicherten ausgeschlossen. Das halte ich für eine gute Nachricht und wichtige Entscheidung, von der ich hoffe, dass sie auch vor dem Finanzminister weiterhin Bestand haben wird.
In einem reichen Land wie unserem kann Gesundheit keine Frage des Geldbeutels sein und es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass sie es nicht wird. Alles andere könnte in Zukunft die größte Stärke der gesetzlichen Krankenversicherung gefährden: ihr Prinzip der Solidarität.
Nun steigen aber die Ausgaben, und die Krankenkassen sind, etwa durch den politischen Griff in ihre Rücklagen, immer weniger Herr ihrer Einnahmen …
Das stimmt und ich halte diesen Griff in Kassenrücklagen – die ja aus den Beiträgen von Versicherten gebildet und durch die Sozialgesetzbücher de facto zweckgebunden sind – für falsch. Es ist falsch, mit diesem Geld strukturelle Defizite ausgleichen zu wollen. Für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler ist das Versprechen keiner Leistungskürzung dann am Ende ein Pyrrhussieg, wenn sie die Defizite allein mit steigenden Beiträgen schultern müssen.
Wir müssen endlich dahin kommen, Effizienzreserven im Gesundheitssystem zu heben, anstatt die Versicherten für Ineffizienzen bezahlen zu lassen. Bei der Gelegenheit ist es auch geboten, dies zuallererst patientenorientiert zu tun. Nicht interessenorientiert. Was mich zum Beispiel immer noch ärgert, ist, dass wir seit 2020 nur noch höchstens 12,5 Prozent der Krankenhausrechnungen prüfen dürfen und alle weiteren offensichtlichen Abrechnungsfehler bezahlen müssen.
Herr Meine, als Verwaltungsrat einer Krankenkasse sind Sie Teil der Entscheidungsstrukturen in unserem Gesundheitswesen. Aus Ihrer Innenansicht: Sind die so aufgestellt, dass sie – wie Herr Kirstan sagte – patientenorientierte Entscheidungen mit Effizienzgewinn treffen können?
Ich bin stolz, Teil der demokratisch legitimierten Selbstverwaltung zu sein, und halte sie für eine große Errungenschaft. Aber natürlich geht es immer noch besser. Ich wünsche mir zum Beispiel, dass die Gremien, die die Entscheidungen treffen, diejenigen, für die die Entscheidungen getroffen werden, möglichst gut abbilden.
Wir brauchen Diversität, auch in der Selbstverwaltung. Das bereichert Diskussionen um zusätzliche Perspektiven und die sind eine Voraussetzung für gute und patientenorientierte Entscheidungen.
Begrüßen Sie die Frauenquote, die mit den 2023 anstehenden Sozialwahlen eingeführt wird, Herr Kirstan?
Absolut! Ich bin sicher, dass die Mindestquote von 40 Prozent - die ja für beide Geschlechter gilt - unsere Gremienarbeit bereichern wird, und freue mich darauf, unsere Perspektiven zu weiten.
Nun war die mkk nie eine männlich dominierte Krankenkasse – seit 30 Jahren steht mit Andrea Galle eine Frau an der Spitze und die Belegschaft ist ganz überwiegend weiblich –, aber wie alle Entscheidungsgremien haben auch wir an dieser Stelle noch Hausaufgaben vor uns.
Insofern wird die Quote als ein Hebel wirken und, da bin ich sicher, zu noch besseren Diskussionen und am Ende auch Entscheidungen führen. Es ist unbedingt Zeit dafür. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit mehr Kolleginnen.
Herr Meine, Herr Kirstan, vielen Dank für das Gespräch.
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